Rosthaupts Begräbnis – Teil zwei

Veröffentlicht am 31. März 2016 von Uhrwerk Verlag in Lorakische Geschichten

Nachdem Rosthaupts Familie sich von ihm verabschiedet hatte, schritt Melina auf den Leichnam zu. Ihre Robe, zu gleichen Teilen weiß und tiefschwarz, repräsentierte nicht nur die zwei Aspekte Licht und Schatten der Herrin Jesavis, sondern auch die Trauer und die anschließenden Feierlichkeiten zu Ehren des Toten. War nicht der Tod auch immer ein Neubeginn? Zwei junge Dienerinnen folgten Melina und nahmen links und rechts von ihr Aufstellung. Die eine in flammendem Rot, die andere in schillerndem Purpur, symbolisierten sie zwei weitere Aspekte der Göttin ̶ die Rache und die Herrschaft.

Nicht für jeden Toten versammelte Melina alle Aspekte Jesavisˈ, aber Rosthaupt war nun einmal nicht irgendein Toter. Rosthaupt war Zeit seines Lebens der unangefochtene Herrscher Lavadors gewesen. Nun, „unangefochten“ mochte das falsche Wort sein. Viele hatten ihn herausgefordert oder sonst wie seinen Zorn auf sich gelenkt, aber keiner hatte diesem Mann ernsthaft schaden können. Sie erinnerte sich, was Yamau über gebrochene Nasen erzählt hatte und musste sich ein Lächeln verkneifen. Wenn auch nur ein Funken Wahrheit an der Geschichte war, hatte Yamau alle Götter auf seiner Seite gehabt, als ihm Rosthaupt eine Lektion erteilt hatte. Melina wusste von genug Fällen, wo er für so einen Schlag nicht nur die blanke Faust, sondern einen Dolch benutzt hatte. Nicht wenige dieser armen Teufel hatte sie selbst beerdigt.

Nun stand sie an der Kopfseite eines Sarges und blickte auf den bleichen Leichnam Rosthaupts hinab. Dank einer ordentlichen Mischung aus Magie und Alchemie hatte der Körper nicht schon längst zu faulen begonnen. Doch Melina wusste, dass diese Verzögerungstaktik nicht mehr allzu lange halten würde. Rosthaupts Zeit auf Lorakis war zu Ende. Und angeblich sollte es nicht ein Dolch im Rücken oder ein Kampf auf hoher See gewesen sein, der ihn am Ende zu Fall brachte, sondern der eine Feind, dem kein Sterblicher je entkommen kann: Das Alter.

Ihr Blick fiel auf die anwesende „Trauergemeinde“. Manch einer war nicht viel jünger oder gar ebenso alt wie Rosthaupt es gewesen war. Nicht wenige der Anwesenden mussten beim Anblick der Leiche wohl einsehen, dass selbst einem Piraten ein wenig Nachdenken über Götter und das Leben nach dem Tod gut zu Gesicht stehen würde. Sie würde das zur rechten Zeit zu nutzen wissen, doch nun war erst mal Rosthaupt an der Reihe.

„Seid willkommen, seid willkommen all jene, die ihr Kapitän Rosthaupt die letzte Ehre erweisen wollt.“, begann sie, und die Menge wurde stiller. „Wir sind heute hier zusammen gekommen, um das einstige Gesicht dieser unserer Stadt zu verabschieden. Er war es, der Lavador zu dem gemacht hat, was es heute ist: Ein Ort, an dem jene eine Heimat gefunden haben, die sonst nirgends eine Heimat haben. Lavador ist ein Ort, an dem aus demjenigen, der wagt, jemand werden kann, der gewinnt. Rosthaupt war der Inbegriff dieses Gedankens und wahrlich, er hat mehr gewonnen als die meisten je von sich behaupten können. Er war nicht nur der mächtigste Mann dieser Stadt, er war nicht nur ein von allen gefürchteter Korsar, sondern obendrein, manch einer möchte sagen als Krönung all seiner Erfolge, Mitglied im Kapitänsrat von Navir. Unter unseresgleichen“, sie machte mit einem Arm eine die gesamte Menge umfassende Geste, „kann es keine höhere Auszeichnung geben. Wer auch immer seinen Platz im Rat erhalten wird, sollte sich der Ehre bewusst sein und nicht vergessen, in wessen Fußstapfen er oder sie da zu treten gedenkt.

Doch am Ende seines Weges wartete ein Feind, den er nicht mit seiner Kraft, seinem Einfluss oder seinem Gold vernichten konnte. Gegen diesen Feind gibt es keine Verteidigung. Man kann nicht vor ihm fliehen und sich nicht vor ihm verstecken. Doch Rosthaupt war es immerhin vergönnt, auf See zu sterben. So ist es nun unsere Pflicht, ihn dieser See zurückzugeben.“

Melina legte eine Hand auf die kalte Stirn des Toten und ihre beiden Begleiterinnen taten es ihr gleich.

„Oh, Herrin Jesavis. Wir bitten dich im Namen von Kapitän Rosthaupt und allen Anwesenden um deinen Segen. Gewähre Rosthaupt Einzug in deine ewigen Hallen und den Lohn, den er sich im Leben verdient hat. Schütze seine sterbliche Hülle vor jenen, die sie für ihre unheiligen Zwecke nutzen wollen. Übe Rache an jenen, die es wagen sollten, seinen toten Leib zu schänden. Wir bitten dich, halte deine schützende Hand über ihn.“

Als das letzte Wort Melinas Lippen verlassen hatte, erwachten die Schatten der drei Frauen zum Leben. Ein Raunen ging durch die Anwesenden. Das körperlose Schwarz floss von ihren Besitzerinnen auf Rosthaupts Leichnam hinunter und hüllten ihn in eine dünne dunkle Wolke, als sei es ein Leichentuch. Einen Augenblick später begann der Schattenmantel in den Leichnam einzusinken, bis wieder nur noch Rosthaupts Körper dalag, wie zuvor.

Melina war zufrieden. Wer auch immer es wagen sollte mit dieser Leiche etwas anzustellen, der würde sein blaues Wunder erleben. Niemand, der auch nur bei halbwegs klarem Verstand war, würde einen auf diese Art gesegneten Körper schänden. Wenn doch, dachte sie finster bei sich, dann würden der oder die Täter es mit ihrem Leben bezahlen. Man erweckte Jesavis‘ Zorn nicht ungestraft.

Nach einem Moment der Einkehr wandte sie sich an die Anwesenden: „Der Moment ist gekommen! Es ist nun an der Zeit, ihn auf die Barke zu tragen und ihn den Flammen und der See zu überantworten.“ Auf ihr Zeichen traten einige ihrer Leute heran, um Rosthaupts Leichnam vorsichtig auf eine bereitstehende Trage zu betten und ihn hinüber zur Barke zu tragen.

***

In Gedanken versunken betrachtete Kapitänin Zahida, wie Rosthaupts Leichnam auf der nachtschwarzen Totenbarke hinaus aufs Meer trieb. Sie bereute es, dass sie sich von ihrer Quartiermeisteirn Vizaria dazu hatte überreden lassen, das Schiff zu Rosthaupts Begräbnis beizusteuern. Einen blutigen Kampf liebte Zahida, aber sie hasste das Spinnen von Intrigen, das spätestens beim Leichenschmaus beginnen würde. So waren ihre einzigen Abschiedsworte die Zauberformel des Feuerballs, mit dem sie die Barke und den Leichnam Rosthaupts entzündete. Für einen Augenblick konnte man noch den toten Körper in einem Meer aus Flammen erkennen, doch dann war da nur noch das Feuer, das schon bald die Asche des gefürchteten Kapitäns dem Meer übergab.

Als die Totenbarke zur Gänze verbrannt und die letzten Flammen im Meer erloschen waren, wandte sich Zahida wortlos zum Gehen. Sollte Vizaria Intrigen spinnen und Kontakte knüpfen, sie selbst würde sich auf ihr eigenes Schiff zurückziehen. Bereits jetzt hatte sie genug von falschen Lobpreisungen und würde nicht auf einen Mann wie Rosthaupt anstoßen, den sie bei einer guten Gelegenheit jederzeit selbst getötet hätte.

***

Kapitän Torbin ‚Sturmhand‘ Wandran hatte während der Begräbniszeremonie keine Miene verzogen. Nicht einmal, als eine Flasche des von ihm so teuer erkauften Honigschnapses an Rosthaupts Leiche verschwendet wurde. Und auch jetzt blickte er unbewegt hinaus auf‘s Meer, wo eben noch die Flammen von Rosthaupts Totenfeuer zu sehen waren. Solange diese ganze Schmonzette seinen Zielen diente, war das alles noch erträglich, auch wenn er bislang vergebens versucht hatte, in den Mienen der anwesenden Mitglieder des Kapitänsrates abzulesen, was sie von seinem Beitrag hielten. Um eine Rede zu Ehren des Verstorbenen zu halten, dafür kannte er Rosthaupt dann auch zu wenig und nur auf irgendwelches Seemannsgarn wollte er keine Rede aufbauen, weswegen er schließlich stumm hinaus auf die See schaute. Es würde ein Sturm aufziehen, da war sich Torbin sicher.

Er schlenderte hinüber zu den langen Tischen der Festtafel und labte sich ausgiebig an Speis und Trank. Wenn er den teuren Honigschnaps schon bezahlt hatte, dann konnte er wenigstens auch etwas davon kosten. Bei den restlichen Gästen fand er zumindest regen Anklang. Hinter sich in der Menge hörte Torbin bereits erstes Getuschel, wer denn jetzt die Macht über Lavador an sich reißen würde, aber für Torbin kam da ohnehin nur eine Person in Frage.

Er selbst.

***

 

Von Christian, DrGonzo, Irian, Jeong Jeong, Nel, timesink, asquartipapetel

 

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