Die Testamentseröffnung – Teil drei

Veröffentlicht am 9. Juni 2016 von Uhrwerk Verlag in Lorakische Geschichten

Die Abenddämmerung war vor über einer Stunde über das Atoll hineingebrochen, doch statt der üblichen Ruhe hatte sich das Rauschen dutzender Gespräche, trunkenes Gejohle und der Geruch feiner Speisen wie ein dickflüssiger Film über die Inseln gelegt. Selbst die auf den Schiffen gebliebenen Wachen konnten gute Teile des Festplatzes einsehen, welcher im Schein des Splittermondes und eines guten Dutzend Lagerfeuern in Tageshelle stand.
Uzmia kniete auf einem der Felsen in der Nähe und betrachtete das freudige Treiben nachdenklich, immer eine Hand an den Wurfspeeren des Köchers neben ihr ruhend. Kurz nach der Ankunft Barwol Kunais mit seiner Mannschaft am Festplatz hatte Maerissa beschlossen, sich ebenso wieder zu zeigen. Sie hatte sich mit den Mitgliedern der Mannschaft ihres Vaters besprochen, vermutlich vom alten Zalgor die Reihenfolge der übrigen Teilnehmer entgegen genommen und sie dann nacheinander in eine nahe gelegene Felskaverne gebeten, aus der jeder Kapitän und jede Gruppe mit einer Truhe herauskam, auch wenn manch einer Unmut darüber äußerte, dass sie keinen Schlüssel für diese erhalten hatten. So war einige Zeit ins Land gegangen, was vermuten ließ, dass Rosthaupts Tochter den wichtigen Leuten dort drinnen wohl auch jeweils das gesamte Testament verlesen hatte.

Kurze Zeit später aber saß sie dann mit den Kapitänen auf einer Felsstufe an der Tafel. Das Gelage, welches wohl alsbald zu einem Besäufnis umschlagen würde, war vor wenigen Augenblicken eröffnet worden. Allerorten türmten sich exotische Früchte, mundwässernde Bratenstücke, Pasteten und allerlei süße Leckereien. Mehrere Suppenkessel standen zwischen den hinteren Tischen und einige Leichtmatrosen hatten sich in der Hoffnung auf bessere Speisen bereit erklärt, aus großen Fässern Rum, Wein und Bier auszuschenken. Nur der Honigschaps, den Rosthaupt so geliebt hatte, fehlte aus irgendeinem Grund.
Maerissa dankte den Kapitänen gerade noch einmal laut, so dass es jeder auf dem Festplatz hören konnte, für ihre Hilfe bei der Befreiung aus Markeh. Jeder Anwesende hatte in der Felskaverne wenigstens zwei Dutzend Gründe für diese Hilfe gehört, die wichtiger waren als die bloße Nächstenliebe, aber niemand verlor darüber ein Wort. Nach ihrer kürzen Ansprache ließ sie den Blick über die Kapitäne schweifen und blieb einen Augenblick an Zahida hängen, die lachend dem Wein zusprach, und von ihrer Fahrt und der Begegnung mit dem Trangenwurm erzählte. Doch meisten Kapitänsgesichter waren bereits oder immer noch ernst, während sie im Kopf wohl ihre nächsten Schritte planten.
Maerissa gab sich ebenso wie niemand anderes Illusionen hin; jeder dieser Männer und Frauen war ein Gauner und ein Monster. Die wenigsten kamen an Rosthaupt heran und sein unerwarteter Tod hatte wohl den einen oder anderen Anwesenden vor schlimmeren Dingen bewahrt. Ihr Blick ruhte längere Zeit auf dem dunkelhäutigen Xulu, er war gemeinsam mit Cousin Jaakal in den Hafen eingelaufen. Und gleich daneben die Kapitänsfrau Simin. Hatte sie nicht Schulden bei diesem fetten Sack Kolcha? So viele Leute, die sich später im trunkenen Rausch noch an die Gurgel gehen konnten.

Die Bescheidenheit, ja beinahe Besonnenheit, mit der die meisten Kapitäne an der Tafel saßen, war dennoch überraschend. Der Ehrenplatz des Siegers neben Maerissa war leer geblieben, da sie sich geweigert hatte den ersten Maat Hasnadruks an der Kapitänstafel zu dulden, auf der anderen Seite saßen die Seealbenkapitäne Dariel Sturmklinge und Omiir Falkenseele und schienen sich in ihrer schnell gesprochenen Muttersprache auszutauschen. Auch die Herrin der Sekalsflosse Adawae wirkte eher in sich gekehrt, ebenso wie die weniger erfolgreichen Kapitäne, die abgesehen von gelegentlichen schlagfertigen Antworten vor allem darauf bedacht schienen, bei nächster Gelegenheit als Sieger dazustehen und für diesen Augenblick Pläne schmiedeten.
Kapitän Djavar wischte sich gerade Bier aus dem Mundwinkel und erhob sich leicht wacklig: »Also, wenn Yamau nicht von unserer Wettfahrt berichten will, dann muss der alte Djavar wohl ran!« Der Kapitän schien ganz in seinem Element und grinste spitzbübisch: »Dann berichte ich am besten davon, wie Yamau und ich – alte Haudegen von zweifelhaftem Ruf und weithin bekannt dafür vor Jahren bei Vhagatta einen schiffgroßen Tigerhai nur mit einem Fass Rum, einem Fernrohr und unserem messerscharfen Verstand bezwungen zu haben! – wie wir uns also aus Lavador davon stehlen wollten, bevor ein anderer Kapitän auch nur daran denken konnte!«
Er beugte sich verschwörerisch vor: »Damit keiner der anderen etwas mitbekommt, schicke ich also meine Mannschaft in Fünfergruppen von den Baracken zur Sekals Braut. Ganz unauffällig! Nur ein paar schwer bewaffnete Piraten mit vollen Reisesäcken, die mal eben vor Sonnenaufgang einen kleinen Spaziergang zum Hafen machen wollen. Das passiert ja nun wirklich ständig!« Nach kurzem Prusten fuhr er fort: »Drei vermaledeite Stunden hat diese Aktion in Nacht und Nebel gedauert! Und schließlich stehen Issana, Yamau und ich auf achtern auf der Sekals Braut – gleich geht die Sonne auf und alles ist bereit für unsere triumphale Ausfahrt aus dem Hafen -, da segelt die Mutter Siah an uns vorbei auf die Hafenausfahrt zu!« Beide Hände klatschten auf seinen mehr als rundlichen Bauch, ehe er fortfuhr: »Ich hätte schwören können, ich hab Kapitänin Zahida freundlich grüßen sehen, als sie an uns vorbeizog. Dann kamen zwei weitere Schiffe und noch eins und dann hab ich zu Yamau hier gesagt: „Ich glaube, wir müssen uns doch noch etwas anstrengen, wenn wir gewinnen wollen.« Djavar konnte sich gar nicht mehr einbekommen vor Lachen. Er verbeugte sich effekthascherisch und setzte sich dann grinsend wieder, um weiter dem Alkohol zu frönen.

Ihnen schräg gegenüber schienen Zahida, Simin und Torbin Wandran in ein Gespräch vertieft, was wohl bald in einen Streit münden konnte. Gerade führte Simin das Wort: »Ich sehe immer noch keinen klaren Vorteil der Dinge, von denen ihr sprecht. Aber mal zu etwas anderem: Sturmhand, glaub nicht, dass du so leicht mit dieser Sache davonkommen wirst. Wenn wir uns das nächste Mal auf hoher See begegnen, wirst du den Kürzeren ziehen. Auf die eine oder andere Weise.« Zahida knallte ihren Humpen vor Simin auf den Tisch und gluckste: »Was ist denn passiert?« Torbin nickte nur und sprach, bevor Simin etwas einwenden konnte: »Wir hatten auf dem Herweg eine kurze Begegnung mit der Kleinen Seefalkin. Kurz deshalb, weil Kapitänin Simin die Güte hatte, zwischen zwei Inselgruppen auf eine Sandbank zu fahren, um die deutlich schnellere Möwenhetzer vorbeizulassen.«
Simin ballte die Fäuste, jeder Pirat Lavadors wusste, wieviel Wert sie auf den Ruf und die Geschwindigkeit ihres Schiffes legte: »Siehst du, es ist eine Sache, wenn dein Magier uns auf eine Sandbank schiebt, aber wenn dies dazu führt, dass diese dort« und nickte gen Yamau »uns ebenfalls überholen, dann ist das Fass voll, übervoll sogar.« Zahida hielt sich derweil vor Lachen den Bauch und plumpste rückwärts vom Stuhl, was ihr Blicke von allen Seiten einbrachte.

Ein wenig besorgte betrachtete Uzmia derweil Maerissas Blick, der voller Häme auf ihrem Cousin Jakaal lag. »Sag, Jak, mir kam zu Ohren, dass du der guten Zahida beim Auslaufen mitgeteilt hast, du würdest ihr einen Grog warm halten, wenn du hier auf dem Atoll auf sie wartest. Was hat dich so lange aufgehalten?« An der Tafel kehrte einen kurzen Augenblick Schweigen ein, als die Blicke langsam von Zahida zu Jakaal wanderten. Dieser erhob sich und prostete seiner mittlerweile wieder aufgestandenen Saufkumpanin zu: »Der nächste Zechabend geht auf mich.«
Uzmia betrachtete derweil das unzufriedene Gesicht Maerissas, sie wollte ihn wohl wirklich reizen, doch Jakaal sprach weiter: »Ein Sturm. Kapitän Xulu, der mir zur Seite stand, und ich hatten vor, durch die Untiefen abzukürzen, wie es ja auch andere getan haben. Die Seehexe hat kaum Tiefgang und lässt sich notfalls rudern. Wir kamen gut voran, doch Shar Anar…«, hob er die Waffe, um den der Göttin nachempfundenen Griffkorb zu zeigen, »… nun, die Gute ist launischer als Jolanda.«
Einige der Anwesenden räusperten sich unwohl oder sahen kurz zur Seite, als er die Göttin mit einer der Huren im Meeresvulkan verglich. Doch Jakaal redete einfach weiter, als wäre nichts geschehen: »Kapitän Xulu hier, der leistete ganze Arbeit!« Er ahmte im Stehen den Kampf mit dem Ruder der Seehexe nach. »Wir nahmen Welle um Welle, stets in der Gefahr auf eine der Untiefen aufzulaufen«, der Blick fiel hierbei beiläufig auf Simin, »oder gar auf einem der Felsen zu zerschellen. Aber ihr hättet die Mannschaft sehen sollen. Ich bin stolz, was Rhorykh in den letzten Monaten aus ihr gemacht hat. Stolz wie ein Vater.« Einen Augenblick hing er jenen Momenten traumverloren nach, ehe er den Humpen auf den Tisch donnerte und der kindisch verklärte Gesichtsausdruck wieder dem Ernst wich: »Doch dann ging ein reißendes Geräusch durch die Takelage! Das Hauptsegel; blutrot und straff gespannt riss es mir entzwei. Dennoch, was für eine Fahrt! Meine Jungs und Mädels holten es ein, bevor es ernsten Schaden anrichten konnte. Naja und ab da an mussten wir notgedrungen rudern.«
Kapitän Xulu pflichtete ihm bei: »In der Tat, die Launen der Götter waren nicht auf unserer Seite. In Demut sind wir dankbar, überhaupt das Atoll erreicht zu haben.«

Den übrigen Abend verbrachte der eine oder andere mit Lobpreisungen seiner Reisegefährten oder Mannschaftsmitglieder, allen voran Djavar, der zum Besten gab, dass er und Yamau ohne seine Tochter Issana niemals angekommen wären. Insgesamt blieb der Abend friedlich und auch wenn der eine oder andere von Mannschaftsmitgliedern zum Schiff geschleppt werden musste – Zahida sogar mehrfach -, verließen am Morgen alle Korsaren mit ihren gesamten Mannschaften wieder das Atoll.

Nur Karrak Steinborn blieb verschwunden.

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von Avalia, DrGonzo und Irian

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