Aus den Chroniken von Lorakis: Harrebuck – Teil 2
Werter Freund!
Endlich komme ich wieder dazu, dir zu schreiben. Die vergangenen Tage waren voller Trubel und quirligem Leben – kaum eine Nacht, in der nicht gefeiert wurde, kein Tag ohne Festessen und Tanz. Wie ich dir schon im letzten Brief schrieb, stand das Mondfest ins Haus. Und wie meine gute Irwyn zu sagen pflegt: „Feier lieber einen Tag zu viel, als einen Tag zu wenig“.
Unser Haus barst fast vor Besuchern – ich kann dir nur davon abraten, einer ähnlich großen Sippschaft vorzustehen, wie ich sie mein Eigen nenne. Die jungen Männer fressen dir die letzten Haare vom Kopf, die Frauen schnattern wie die Gänse, und jeder ältere Verwandte erzählt ein ums andere Mal seine Lebensgeschichte. Ich bin froh, dass wieder Ruhe eingekehrt ist.
Während der Feiertage war ganz Sarnburg bunt geschmückt und ein jeder hier trug seine schönsten Gewänder: die Handwerker verzierte Schürzen und selbstgemachte Lederwämse; die Händler und reicheren Bürger guten Stoff aus Takasadu, gefärbt in edlen Farben und verziert mit Muscheln von der Küste und Federn aus dem fernen Farukan. Selbst die einfachen Leute hatten saubere Kleidung angelegt – vermutlich sind dies die Tage, in denen einige von ihnen das einzige Bad im Jahr nehmen.
Schon vor dem ersten der drei Mondfesttage wehten die Banner mit dem kaiserlichen Hirsch im Wind, zusammen mit dem Symbol der drei Trabanten. Farbige Tücher hingen aus Fenstern, von Mauern und auf Leinen überall über den Straßen – selbst die sonst grauen und düsteren Stadtteile von Sarnburg wie das Gesindeviertel, die engen Gassen um den Dachsmarkt und Drageling waren bunt anzuschauen. Überall wurden Mori-Kringel gereicht, und Beerenbier und getrocknete Sternblüten.
Am ersten der drei Tage fand eine große Prozession durch die Straßen statt – vom Agitushügel herunter über den Platz der Dolche bis zu den Ufern der Hallunde. Dann über die Zwei-Kupfer-Brücke an der Torburg vorbei bis zum Geisterviertel und wieder zurück. Natürlich waren wir dort, aber im Gedränge konnte man kaum etwas sehen. Der Kaiser und sein Hofstaat, Abgesandte aus Takasadu, Ioria und anderen fernen Orten – sie alle waren eher als Schemen zwischen einem Wust an Menschen, Alben, Zwergen und Vargen zu erkennen. Als Abkömmling meines Volkes kann man ja höchstens über ein paar Kinderköpfe oder kleinere Gnome herüberspähen, hat man keine Trittleiter dabei.
Dafür waren wir am zweiten Mondtag, dem großen Feiertag, in der kaiserlichen Residenz in der Sarnfeste eingeladen. Mein Haus betreibt Handel mit dem kaiserlichen Hof, wie du sicherlich noch weißt – daher ist es mir vergönnt, beim großen Bankett Gast zu sein. Jetzt darfst du dir aber nicht vorstellen, dass ich dort neben dem Kaiser sitze und mit ihm plaudere: Der komplette obere Festungshof ist mit Tischen gefüllt, Abgesandte, reiche Händler, Adelige soweit das Auge reicht. Am hinteren Ende kann man irgendwo dann den jugendlichen Kaiser erkennen. Ich bin immer wieder verwundert, wie sehr Selenius III. trotz seiner dreizehn Sonnenläufe mit seiner Präsenz ganze Hallen füllen kann. Hinter ihm wie immer sein Schatten, die vollständig gerüstete Leibwächterin, die ihm seit ich denken kann nicht von der Seite weicht. Yra vom Grünen Stein heißt sie, glaube ich. Eine zwei-Meter-Hünin mit blonden Haaren, die ihre eiserne Kleidung trägt, als wäre es ein leichtes Gewand. Einer Geschichte nach hat sie mal einen Attentäter, der mit einem vergifteten Dolch auf den Kaiser losstürmte, mit einem Hieb in zwei Teile geschlagen! Würdest du sie sehen, du würdest es sofort glauben, mein Freund! Ansonsten hat man sie noch nie sprechen gehört, außer sie flüstert dem Kaiser etwas ins Ohr. Eine merkwürdige Person und zumindest mir nicht ganz geheuer.
Nun, wir hatten jedenfalls freundliche Tischnachbarn – einen Vargen aus der Surmakar, der sich sehr bemühte, unseren Tischsitten nachzueifern. Was ihm allerdings nicht ganz gelang. Zudem einen sehr stillen Alben aus dem Immersommerwald, der den Vargen nicht einen Augenblick aus den Augen ließ.
Spät abends wurden überall in der Stadt die Hohen Lichter zu den Monden entlassen. Funkenschwärme voller Magie, fliegende Laternen, Lichtkugeln aus der Zitadelle des Zauberzirkels. Es ist ein atemraubender Anblick – Jahr für Jahr.
Der letzte Festtag ist allein dem Beerenbier und der Geselligkeit vorbehalten. Neben einem Gottesdienst im Tempel des Yonnus, der zugleich der Patron der Kaiserfamilie und des Reiches ist, wird der Nachmittag und der Abend zum Feiern genutzt.
Wie in jedem Jahr brauchte die Stadt zwei Tage, um danach wieder in den gewohnten Trott zu kommen – und selbst am dritten hat man noch den ein oder anderen Volltrunkenen aus der Hallunde fischen müssen. Genau wie wir bei einigen unserer Gäste sehr deutlich darauf bestehen mussten, dass wir jetzt gerne wieder alleine wären – meine gute Irwyn hat ein zu großes Herz für Freunde und Familie. Vielleicht zum Ausgleich zu meinem im Alter aufkommenden Griesgram. Das nächste Mal werde ich dir von meiner Reise nach Arwingen erzählen können – ich muss dort einige Dinge regeln, die meine persönliche Anwesenheit erfordern. Bevor ich wieder zurück bin, werde ich kaum zum Schreiben kommen.
Bis dahin wünsche ich dir alles Gute, alter Freund.
– Carus Javir Harrebuck